Wir leben in der Zeit des progressiven Neoliberalismus, d.h. linke Ideale werden mit Wirtschaftsliberalismus verbunden – große Unternehmen werben mit feministischen Slogans, während gleichzeitig die teuren Produkte von Frauen aus dem globalen Süden zu ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden. Dior verkauft ein Baumwoll-T-Shirt mit der Aufschrift „We should all be feminists“ für 650 € – wer von diesen „allen“ kann sich das T-Shirt leisten und wer hat es genäht? Die vermeintliche Inklusivität wird durch das allgegenwärtige Versprechen unterstrichen, jede*r könne es schaffen. Das zugrunde liegende Narrativ ist „vom Bordstein zur Skyline”, „vom Tellerwäscher zum Millionär”, “zero to hero”. Der Glauben an dieses moderne Märchen ist ungebrochen, während sich die soziale Ungleichheit verschärft. Jemensch, die:der die Sprache des Geldes spricht, kann mit dem gleichen Arbeitsaufwand und einer ähnlich aufwendigen Ausbildung wie wir sie als Regisseurin, Dramaturgin, Theaterwissenschaftlerin bzw. studierte Modedesignerin genossen haben, ein Vielfaches von uns verdienen. Einerseits frustriert uns diese Tatsache, andererseits fasziniert es uns auch und wir möchten dem auf den Grund gehen.
Die Recherche erforscht die neoliberale Ideologie, die unsere Zeit beherrscht, untersucht die Sprach- und Denkmuster der Hegemonie. Dazu möchten wir ins Gespräch kommen mit Menschen, die von dem System profitieren und ihre Lebensrealität besser verstehen. Koch fokussiert sich dabei auf den Neoliberalismus als Ideologie, während Mielich sich mit dem progressiven Element am Beispiel der Modeindustrie befasst. Denn Mode ist das Lieblingskind des Kapitalismus. Mode ist für Mielich ebenso inspirierend und revolutionär, wie das System dahinter schmutzig und zerstörerisch ist. Deshalb gibt es vermehrt Bestrebungen, Mode und Nachhaltigkeit zusammenzubringen – aber ist das nicht ein Widerspruch in sich? Muss Mode nicht ihrer Zeit voraus sein und sind Trends nicht Trends, weil sie vorübergehen? Und wer trägt eigentlich ernsthaft noch Skinny Jeans im Jahr 2022?
Koch trifft Protagonist:innen und Verfechter:innen des Kapitalismus, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Anstatt den Neoliberalismus bloß zu kritisieren, wollen wir uns hineinarbeiten und uns informieren – wie funktioniert die Sprache des Geldes? Dazu beschäftigt sich Koch mit Ratgeberliteratur, besucht Workshops von Coaches wie „Dein Weg zum Reichtum“ und führt Interviews mit Expert:innen: Vermögensberater:innen, Life Coaches, self made (wo)men mit eigenen erfolgreichen Firmen, Investment-Bänker:innen, Broker:innen. Theresa Mielich recherchiert zu Nachhaltigkeit in der Modebranche. Sie interviewt Designer:innen aus der Slow-Fashion-und Zero-Waste-Bewegung sowie von H&M und Zalando. Sie liest Literatur zum Thema wie „Das antikapitalistische Buch der Mode“ von Tansy E. Hoskins. Koch und Mielich tauschen sich in regelmässigen Treffen über ihre jeweiligen Erkenntnisse aus und trinken dazu Bio-Champagner.
Liliane Koch fokussiert sich in der Recherche „Embrace Capitalism!“ auf den Neoliberalismus als Ideologie, während Theresa Mielich sich mit dem progressiven Element am Beispiel der Modeindustrie befasst. Denn Mode ist das Lieblingskind des Kapitalismus. Anstatt den Neoliberalismus bloß zu kritisieren, wollen wir uns hineinarbeiten und uns informieren – wie funktioniert die Sprache des Geldes?
Theresa Mielich und Liliane Koch
Liliane Koch und Theresa Mielich arbeiten seit 2018 gemeinsam im Kollektiv Behrmann / Koch / Mielich. Koch konzentriert sich in ihren (Bühnen-)Arbeiten auf feministische und politische Themensetzungen. Mielich ist studierte Modedesignerin und versteht sich als Kostümbildnerin, Bühnenbildnerin und Textilkünstlerin. Diese Arbeitsweisen befruchten sich in ihren gemeinsamen Projekten.
Theresa Mielich und Liliane Koch lernten sich 2010 in Dortmund kennen, als sie gemeinsam am Schauspiel Dortmund assistierten (Mielich als Kostüm- und Koch als Regieassistenz). Seitdem haben sie mehrere Projekte miteinander realisiert, bis sie 2018 Behrmann / Koch / Mielich zusammen mit Ruby Behrmann gründeten. Für diese Recherche kombinieren sie Mielichs Expertise zu fairer Mode und Kochs dramaturgische Fähigkeiten. Ihre erste gemeinsame Arbeit „Damengedeck – Ein Rundgang in die Zukunft“ war eine ortsspezifische Arbeit mit Expertinnen des Alters zwischen 85 und 90 in der Senior:innenresidenz GDA Wohnstift in Frankfurt am Main, koproduziert vom Mousonturm Frankfurt. 2020 entstand im Rahmen des Sommerblut Kulturfestivals ihre zweite Arbeit „Damengedeck 2.0”, die eine digitale Weiterführung des Konzeptes von „Damengedeck“ ist. Hierzu kooperierten sie mit der Residenz am Dom und entwickelten eine partizipative Zoom-Performance mit 8 Seniorinnen zwischen 75 und 90. 2021 entstand ihre zweite digitale Arbeit für das Sommerblut-Festival, die sich mit dem Thema Sterben und Beerdigung beschäftigte. Bei „Besser Sterben – Eine Kaffeefahrt mit dem Tod“ arbeiteten sie mit einer Bestatterin, einer Trauerrednerin, einer Beerdigungsgeigerin zusammen. Die Umsetzung erfolgte mit einem professionellen Filmteam und einer interaktiven Homepage.